Nach dem Umfragehoch wegen des Ukraine-Kriegs schien Präsident Macrons Wiederwahl fast gesichert. Aber Rechtspopulistin Marine Le Pen hat aufgeholt und ist ihm gefährlich nahe gerückt - im Endspurt muss Macron kämpfen.
Emmanuel Macrons Wahlstrategen sind vorsichtig geworden. Sie planen nach dem ersten Wahlgang am Sonntag keine Afterparty in einer schicken Pariser Brasserie wie nach dem rauschenden Erfolg vor fünf Jahren – stattdessen soll der Präsident nach Bekanntgabe der Ergebnisse aus einer Mehrzweckhalle im volkstümlichen Osten der Hauptstadt zu seinen Anhängern sprechen. Man will alles tun, um den Eindruck von Siegesgewissheit oder gar bourgeoiser Arroganz zu vermeiden, der Macron sowieso immer anhängt. Er muss auf den letzten Metern seines Wahlkampfes noch einmal ernsthaft die Ärmel hochkrempeln.
Kandidat für die Wiederwahl
Emmanuel Macron will, was seit Jaques Chirac vor rund 20 Jahren keinem Präsidenten mehr vergönnt war: eine zweite Amtszeit. Und nach dem Beginn des Krieges in der Ukraine schien das Ziel ganz nahe: Die beunruhigten Franzosen scharten sich um ihren Präsidenten und seine Umfragewerte stiegen auf 33 Prozent.Scheinbar ließ er seine Verfolger mit großem Abstand hinter sich. In den letzten Tagen aber hat sich das Bild gedreht: Macrons Werte sind auf unter 30 Prozent geschrumpft und seine rechtspopulistische Konkurrentin Marine Le Pen sitzt ihm inzwischen ziemlich dicht auf den Fersen.
Frankreich: Präsidentschaftswahl und Ukraine-Krieg
Was ist geschehen? Steigende Preise vor allem im Energiesektorverunsichern die Franzosen. Sie besinnen sich auf ihre sozialen Kernthemen: Rund die Hälfte der Bürger hat Angst um den Lebensstandard, viele fürchten um ihre Traditionen undihre Sozialleistungen sowie die Folgen der Modernisierung. Wie überall in Europa sind es die Alltagssorgen, die am Ende über Wahlen entscheiden.
Eine Serie von Krisen
Dabei aber klebt Emmanuel Macron hartnäckig das Etikett an, er sei ein Präsident der Reichen, weil er am Anfang seiner ersten Amtszeit zunächst die Unternehmens-Steuern gesenkt hatte. Das befeuerte unter anderem die Gelbwesten-Demonstrationen, die sich im Winter 2018/19 an einer Erhöhung der Dieselpreise entzündet hatten. Die Demonstrationen hielten das Land monatelang in Atem und wuchsen zu einer unberechenbaren sozialen Protestbewegung heran. Der Präsident musste eines seiner Kernvorhaben, die Reform des teuren und altmodischen Pensionssystems, in der Schublade verschwinden lassen. Sein Modernisierungseifer erlitt einen ersten Dämpfer.
In Frankreich vermischten sich Corona-Proteste mit Anliegen der Gelbwesten
Kaum waren die sozialen Unruhen verebbt, brachte die Corona-Epidemie Frankreich wie auch den Rest Europas zum Stillstand. Nach anfänglichen Problemen bekam Macron die Impfkampagne gut in den Griff; mit Milliarden an Ausgleichszahlungen vermied er soziale Härten für Beschäftigte und Unternehmen. Wie überall sonst auf der Welt aber machte auch die französische Regierung während der Pandemie eine Lernkurve durch, was Teile der Wähler Macron jetzt als Unentschlossenheit ankreiden.
Jetzt im Wahlkampf verfolgt ihn ein neues Problem, die sogenannte McKinsey-Affäre. Seine Regierung gab in den letzten fünf Jahren über eine Milliarde Euro für teure Beratungsunternehmen aus, die Gutachten über diverse Reformvorhaben erstellten. Steuergelder seien sinnlos verschwendet worden, lautet der jüngste Vorwurf. Auch hätten die Firmen selbst für ihre Arbeit in Frankreich nicht ausreichend Steuern bezahlt. Ein Hauch von Misswirtschaft? Das wirkt wie Öl im Feuer fürMacrons Gegner.
Marine Le Pen macht seit Monaten Wahlkampf in Frankreichs Provinz
Das Chamäleon Marine le Pen
Die Zweitplatzierte in diesem Rennen ist wie schon bei der letzten WahlMarine Le Pen mit ihrer Partei Rassemblement National, demumgetauften Front National in der Nachfolge ihres Vaters Jean-Marie Le Pen. Sie hat konsequent daran gearbeitet, ihr Bild in den Medien abzumildern, die rechtsradikale Vergangenheit ihrer Partei vergessen zu machen und das väterliche Erbe zu entgiften. Inzwischen will sie weder den Euro verlassen noch aus der EU aussteigen; beim Umgang mit ihrer früheren Nähe zum russischen Präsidenten Putin, der ihr für ihren Wahlkampf 2017 sogar Geld geliehen hatte, ist ihr ein politisches Zauberkunststück gelungen. Sie habe ihre Meinung zu Putin geändert, erklärte sie lapidar und die Wähler nehmen ihr den Schwenk nicht einmal übel. Andererseits sagt sie zu ihren außenpolitischen Zielen, sie wolle zu Russland ein normales Verhältnis, etwa wie zu Großbritannien.
Abgesehen davon aber tat Marine Le Pen, was ihr Gegenspieler versäumte: Sie machte Wahlkampf. Während Macron mit Präsident Putin telefonierte und sich auf der internationalen Bühne profilierte, tourte sie unermüdlich durch die Provinz, um dort mit den Menschen zu reden. Nur 51 Prozent der Franzosen betrachten sie inzwischen noch als Bedrohung, ein Zeichen dafür, wie erfolgreich ihre Entgiftungsstrategie ist. 2017 hatte sie noch im Fernsehinterview erklärt: "Die großen politischen Linien, die ich verteidige, sind die der Präsidenten Trump und Putin."
In diesem Wahlkampf redet sie nur noch über Kaufkraft, schütteltauf dutzenden von Märkten hunderte von Händen und versichertden Franzosen, sie werde die Energiepreise begrenzen und für ihre Lebensqualität kämpfen. "Den Import von Gas und Öl (aus Russland) zu beschneiden, wird eine Tragödie für französische Familien", sagte sie im Sender RTL.
Ihre frühere Nähe zu Präsident Putin überspielt Marine Le Pen im Wahlkampf
Zu Hilfe kam ihr wider Willen derrechtsradikale Ex-Publizist Eric Zemmour. Mehrfach wegen Hasspredigten verurteilt, gewann er zu Beginn des Wahlkampfs er mit seiner maßlosen Anti-Islam- und Anti-Migrationsrhetorik enorme Aufmerksamkeit. Umfragen sahen ihn bei 15 Prozent - inzwischen allerdings ist er wieder auf einstellige Werte gesunken. Für Marine Le Pen aber war Zemmour ein Geschenk, denn er besetzte den rechtsextremen Rand, so dass sie sich ihm gegenüber als gemäßigte Politikerin der Mitte darstellen konnte. So begrüßte sie ukrainische Flüchtlinge in Frankreich, während er weiter nach Null-Zuwanderung rief.
Es war die Zeitung Le Monde, die die Franzosen in der vorigen Woche daran erinnerte, dass hinter der moderaten Fassade Le Pens immer noch eine rechtspopulistische Partei steht, die einen Umbau des französischen Staates und seiner demokratischen Institutionen plane. Auch Emmanuel Macron warnte die Wähler bei seinem einzigen großen Wahlkampfauftritt in der La Defense Arena in Paris am vergangenen Wochenende vorder Gefahr von rechts: “Die Gefahr des Extremismus hat neue Höhen erreicht, weil (…) Hass und alternative Wahrheiten normalisiert wurden“.
Macron verteidigt seine diplomatischen Kontakte zu Putin
Macron muss kämpfen
Auch wenn die Werte zwischen den beiden Spitzenkandidaten sich annähern, sehen die Umfragen Emmanuel Macron in der zweiten Wahlrunde Ende April weiterhin als Sieger. Allerdings dürfte der Abstand zwischen beiden kleiner ausfallen als vor fünf Jahren, wo Macron mit mehr als 60 Prozent gegen Le Pen triumphierte. Jetzt hängt alles davon ab, ob er seine Wähler mobilisieren kann, denn viele Franzosen sind nach wie vor unentschieden. Und er versucht, mit scharfen Angriffen gegen Rechts Boden wieder gut zu machen. Auf die Kritik der polnischen Regierung an seinen Versuchen, weiter mit Präsident Putin im Kontakt zu bleiben, schosser zurück: "Ich stehe zu meiner Wahl, mit Russland zu reden (...) und ich war nie ein Komplize (von Putin) wie so manch andere". Letzteres gemünzt auf Marine Le Pen.
Inzwischen teilt Präsident Macron gegen Rechtspopulisten in Europa und zu Hause kräftig aus
Allerdings mussMacron sich fragen, ob seine Strategie nicht falsch war, erst sehr spät überhaupt in den Wahlkampf einzusteigen. Er wollte sich aus den Schlammschlachten zwischen extrem linken oder rechten Kandidaten heraushalten, sich bei der Auseinandersetzung mit ideologisch getriebenen Außenseitern nicht die Hände schmutzig machen. Aber gerade dieser Hang zum Abgehobenen ist es, den viele Franzosen an Emmanuel Macron kritisieren. Sie halten ihn zwar für kompetent, aber volksfern und für ein arrogantes Mitglied der weithin verhassten Elite.
Im erneuten Zweikampf zwischen der Rechtspopulistin und dem Mann der Mitte bleiben die zehn weiteren Kandidaten im Staub zurück. Darunter Valérie Pécresse, die die einst so mächtige konservative Partei zurück ins Zentrum der Politik führen sollte. Sie scheiterte kläglich, ebenso wie die Kandidaten aus den Trümmern der früheren französischen Sozialisten, die sich nicht einmal auf eine gemeinsame Spitzenfrau einigen konnten.
Emmanuel Macron aber muss zwischen dem ersten und dem zweiten Wahlkampf ein Wunder der Wählermobilisierung vollbringen, wenn er nicht geschädigt und mit gestutzten Flügeln in eine zweite Amtszeit gehen will.
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Wer wird Frankreichs nächster Präsident?
Viele Hürden vor dem Einzug in den Élysée
Mehr als ein Dutzend Kandidaten wollen Emmanuel Macron im Frühjahr im Elysée-Palast ablösen. Ob sie alle tatsächlich zur ersten Runde am 10. April antreten dürfen, entscheidet sich aber erst Anfang März. Bis dahin muss jeder Kandidat 500 Unterstützer-Unterschriften von Mandatsträgern (Abgeordneten, Bürgermeistern etc.) vorweisen.
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Große Hürde für kleine Kandidaten
Vor allem für Kandidaten von Splitterparteien oder Politiker, die keiner Partei angehören, können die Unterstützer-Unterschriften zur unüberwindbaren Hürde werden. Bei jeder Präsidentenwahl lichtet sich das Feld zu dem Zeitpunkt, wenn die Unterschriften eingereicht werden müssen. Wer ab Mai der neue Chef im Elysée-Palast wird, entscheidet sich aber ohnehin erst in der Stichwahl am 24. April.
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Amtsinhaber Emmanuel Macron: der Favorit
Emmanuel Macron führt in den Umfragen seit Monaten mit einem Abstand von bis zu zehn Prozentpunkten. Ihm dürfte der Einzug in die Stichwahl kaum zu nehmen sein. Im Vergleich zu seinen Vorgängern genießt der 44-Jährige zum Ende seiner Amtszeit gute Sympathiewerte. Dass Macron erst wenige Wochen vor der Wahl seine Kandidatur verkündete, hatte taktische Gründe…
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Staatsmann bis zum Wahlkampf
…bis zur Kandidatur konnte Macron noch als Präsident wirken – ohne auf die Regeln für die Medienpräsenz der Kandidaten in Frankreich Rücksicht nehmen zu müssen. Macrons Reformbilanz gilt als durchwachsen. Nach den Gelbwesten-Protesten erlahmte sein Reformeifer. Bei den Wählern punkten will der Präsident unter anderem mit der zuletzt positiven wirtschaftlichen Entwicklung.
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Marine Le Pen: dritter (und letzter) Anlauf?
Marine Le Pen vom rechtsextremen Rassemblement National stand Macron schon vor fünf Jahren in der Stichwahl gegenüber. Die Rechtspopulistin, die sich um ein gemäßigteres Auftreten bemüht, war nach einem verpatzten TV-Duell Macron deutlich unterlegen. Nur 34 Prozent der Wähler stimmten 2017 für sie. Der dritte Anlauf für den Elysée könnte für Le Pen die letzte Chance sein, Präsidentin zu werden.
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Valérie Pécresse: die unbequeme Gegnerin
In den Umfragen kämpft Valérie Pécresse mit Marine Le Pen um den zweiten Platz hinter Macron. Die 54-Jährige gewann im Dezember die parteiinterne Vorwahl der Sarkozy-Partei Les Républicains. Pécresse amtiert seit 2015 als Präsidentin des Regionalrats der Hauptstadtregion und diente dem Land auch schon als Ministerin. In einer Stichwahl gegen Macron hätte die Bürgerliche bessere Chancen als Le Pen.
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Eric Zemmour: der Polemiker
Mit dem rechtsextremen Publizisten Eric Zemmour kommt neben Marine Le Pen ein weiterer Bewerber vom rechten Rand auf zweistellige Umfragewerte. Zemmour zeichnet ein düsteren Bild der Lage Frankreichs und ist vor allem bekannt für seine islamfeindlichen Thesen. Im Januar wurde der 63-Jährige zum wiederholten Male von einem Gericht wegen Volksverhetzung verurteilt.
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Jean-Luc Mélenchon: der Wortgewaltige
Wie Marine Le Pen unternimmt auch Jean-Luc Mélenchon bereits den dritten Anlauf für den Elysée. Vor fünf Jahren hatte der 70-Jährige mit Platz vier einen Achtungserfolg erzielt. Der wortgewaltige Politiker sieht sich als eigentlicher Oppositionsführer im Parlament. Ursprünglich stammt Mélenchon aus der Sozialistischen Partei, doch mit La France Insoumise führt er heute seine eigene Bewegung.
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Wer wird Frankreichs nächster Präsident?
Yannick Jadot: der Pragmatische
Bei Kommunalwahlen konnten die Grünen zuletzt in Frankreich mehrere Rathäuser in großen Städten erobern. Doch auf nationaler Ebene hat die Partei aktuell keinen bestimmenden Einfluss. Mit Yannick Jadot schicken die Grünen nach einer Urwahl einen Pragmatiker ins Rennen. Der 54-Jahre alte Europaabgeordnete genießt auch bei sozialdemokratischen Wählern Unterstützung.
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Wer wird Frankreichs nächster Präsident?
Christiane Taubira: die linke Ikone
Die frühere sozialistische Justizministerin erweiterte unlängst das ohnehin schon breite Feld an linken Bewerbern. Schon 2002 kandidierte die heute 69-Jährige für den Elysée-Palast. Die Politikerin ist den Franzosen vor allem dadurch bekannt, dass sie die Ehe für Homosexuelle öffnete. Trotz ihres Status als "linke Ikone" liegt sie in Umfragen aktuell unter fünf Prozent.
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Wer wird Frankreichs nächster Präsident?
Anne Hidalgo: Kandidatin in der Krise
Was der Konservative Jacques Chirac 1995 geschafft hat, soll auch Anne Hidalgo gelingen: Die sozialistische Bürgermeisterin von Paris will vom Rathaus der Hauptstadt direkt in den Elysée-Palast wechseln. Noch 2021 galt die in Spanien geborene Politikerin als aussichtsreichste Bewerberin des Parti Socialiste, doch mit Umfragewerten von unter fünf Prozent ist sie im Bewerberfeld weit abgeschlagen.
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Wer wird Frankreichs nächster Präsident?
Fabien Roussel: Tradition verpflichtet
Wie bei fast allen Präsidentenwahlen der V. Republik schicken die Kommunisten auch 2022 wieder einen eigenen Kandidaten ins Rennen. Die Pläne des 52-jährigen Abgeordneten gleichen denen seiner Vorgänger: Er will die Vermögenssteuer erhöhen und die Kaufkraft der Franzosen mit staatlicher Unterstützung steigern. Der französische KP-Chef dürfte am 10. April am unteren Ende des Bewerberfelds landen.
Autorin/Autor: Andreas Noll
- Datum08.04.2022
- Autorin/AutorBarbara Wesel
- ThemenseitenMarine Le Pen, Wahlen in Frankreich, Emmanuel Macron, Gelbwesten, Wladimir Putin, Krieg in der Ukraine, Krim-Krise, Ukraine
- SchlagwörterEmmanuel Macron,Marine Le Pen,Ukraine,Putin,Wahlen in Frankreich 2022,Präsidentschaftswahl,Gelbwesten,Energiepreise,McKinsey-Affäre,Rassemblement National,Eric Zemmour,Élysée2022
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